Rechtsnews
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Zum Thema Erbrecht
- Bei notariellem Nachlassverzeichnis: Pflichtteilsberechtigte haben keinen Anspruch auf zusätzliche Erstellung einer privaten Version
- Ersatznacherben bei Anwartschaftsübertragung: Kein Zustimmungserfordernis, wenn Vor- und Nacherbe aus mehr als einem Nachlassgegenstand bestehen
- Kein Fristablauf ohne Erben: Erbschaftsausschlagung darf als höchstpersönliches Recht nicht vom Nachlasspfleger erfolgen
- Leistungsklage hat Vorrang: Feststellungsklage auf Nichtentzug des Pflichtteils unzulässig
- Vermächtnisnehmer: Kein Recht auf Akteneinsicht und auf Beteiligung am Ernennungsverfahren des Testamentsvollstreckers
Gesetzlich hat ein Pflichtteilsberechtigter die Möglichkeit, zur Ermittlung seiner Ansprüche die Erstellung eines Bestandsverzeichnisses zu verlangen. Er kann entscheiden, ob dieses in Form eines privaten Verzeichnisses oder in Form eines amtlichen notariellen Verzeichnisses zu erstellen ist. Ob der Pflichtteilsberechtigte ein solches Wahlrecht auch dann noch hat, wenn der Erbe bereits durch eine gerichtliche Entscheidung dazu verpflichtet worden ist, ein notarielles Nachlassverzeichnis zu erteilen, war Gegenstand einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle (OLG).
Die im Jahr 2018 verstorbene Erblasserin wurde von einem der beiden Kinder allein beerbt. Mit einem sogenannten Teilanerkenntnisurteil wurde der Alleinerbe dazu verpflichtet, ein notarielles Nachlassverzeichnis zu erstellen. Die Pflichtteilsberechtigte verlangte darüber hinaus noch eine weitere Auskunft durch Erstellung eines privaten Nachlassverzeichnisses - insbesondere über ausgleichspflichtige Schenkungen der Erblasserin an den Alleinerben oder an Dritte.
Das OLG lehnte einen solchen Anspruch jedoch ab. Der bereits existierende Vollstreckungstitel, der eine Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses beinhaltete, bezog sich nach Ansicht des Gerichts bereits auf den vollständigen Nachlass, der auch alle erforderlichen Angaben zu einem fiktiven Nachlass enthalten muss. Einem privat erstellten Nachlassverzeichnis kommt im Verhältnis zu einem notariellen Nachlassverzeichnis keine höhere Richtigkeitsgewähr zu.
Hinweis: Der Pflichtteilsberechtigte hat die Möglichkeit, den Notar auf offene Fragen, die im Verzeichnis zu beantworten sind, hinzuweisen und gegebenenfalls auch die Zwangsvollstreckung zur vollständigen Erfüllung des Titels einzuleiten.
Quelle: OLG Celle, Urt. v. 17.03.2022 - 6 U 67/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Bei Vor- und Nacherbschaften sind Vorerben dazu verpflichtet, Nacherben die Erbschaft in dem Zustand herauszugeben, der sich bei einer fortgesetzten ordnungsgemäßen Verwaltung der Erbschaft ergibt. Überträgt der Nacherbe sein zukünftiges Anrecht auf den Vorerben, wird dieser infolge einer sogenannten Konfusion zum Vollerben des Erblassers. In einem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) musste sich dieses mit der Frage auseinandersetzen, ob und in welchem Fall die Übertragung dieser Anwartschaft der Zustimmung eines Ersatznacherben bedarf.
Die Erblasserin verfügte in einem privatschriftlichen Testament, dass ihre Nichte zur alleinigen Vorerbin eines Grundstücks eingesetzt wird, das den wesentlichen Teil des Erbes ausmachte. Zu Nacherben wurden die ehelichen Kinder der Vorerbin berufen. Sofern zum Zeitpunkt des Nacherbfalls keine ehelichen Kinder der Vorerbin vorhanden seien, hatte die Erblasserin verfügt, dass ein Neffe Nacherbe werden solle - ersatzweise dessen Abkömmlinge. Dieser Nacherbenvermerk wurde im Grundbuch eingetragen. Nach dem Tod der Erblasserin wurde mit notarieller Urkunde ein in die Nacherbschaft fallendes Grundstück mit Zustimmung der Nacherben in das Vermögen der Vorerbin übertragen. Das Grundbuchamt weigerte sich in der Folge, den Nacherbenvermerk im Grundbuch zu löschen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die möglichen Ersatznacherben der Grundstücksübertragung auf die Vorerbin nicht zugestimmt haben.
Das OLG hat der Beschwerde der Beteiligten stattgegeben und die Angelegenheit an das Grundbuchamt zurückverwiesen. Es hatte bereits in der Vergangenheit entschieden, dass ein solches Übertragungsgeschäft von der Zustimmung des Ersatznacherben abhängig ist, wenn der Nachlass nur aus einem einzigen Gegenstand besteht. Dies gilt aber nach nunmehr geänderter Rechtsprechung des OLG nicht für Fälle, in denen Vor- und Nacherbe nur über einen von mehreren Nachlassgegenständen verfügen. In diesen Fällen bedarf es keiner Zustimmung des Ersatznacherben für die Übertragung.
Hinweis: Fehlt die Zustimmung des Ersatznacherben und tritt der Ersatznacherbfall ein, endet die Wirkung der Konfusion und der Vollerbe wird wieder zum Vorerben.
Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.03.2022 - 3 Wx 130/20
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Ein Nachlasspfleger ist der gesetzliche Vertreter des noch unbekannten Erben. Seine Aufgabe besteht darin, den Nachlass bis zur Ermittlung des Erben zu sichern und zu verwalten. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich mit einem besonderen Fall beschäftigen. Die Frage dabei war, ob der Nachlasspfleger auch dazu berechtigt ist, eine in den Nachlass des Erblassers gefallene weitere Erbschaft auszuschlagen.
Die Erblasserin war im Februar 2021 verstorben. Zu diesem Zeitpunkt stand die Erblasserin unter Betreuung. Der Ehemann war bereits im November 2020 verstorben. Die Betreuerin hatte die Erbschaft nach dem vorverstorbenen Ehemann ausgeschlagen. Noch bevor das Nachlassgericht hierüber entschieden hat, verstarb die Erblasserin selbst, und das Nachlassgericht bestellte zum Zweck der Sicherung des Nachlasses und zur Feststellung von Erben einen Nachlasspfleger. Der Nachlasspfleger schlug daraufhin für die noch unbekannten Erben der Erblasserin die Erbschaft nach dem vorverstorbenen Ehemann aus und beantragte die Genehmigung der Ausschlagung durch das Nachlassgericht. Nachdem das Nachlassgericht diese Genehmigung zunächst erteilt hatte, hob das Oberlandesgericht diese auf und ließ die Rechtsbeschwerde zum BGH zu.
Der BGH entschied eine bereits seit längerer Zeit umstrittene Rechtsfrage: Das Recht zur Ausschlagung ist ein höchstpersönliches Recht, das allein dem Erben bzw. seinen Rechtsnachfolgern zusteht. Das Bedürfnis zur Sicherung des Nachlasses rechtfertigt keine andere Beurteilung, da insbesondere den noch unbekannten Erben kein Fristablauf bezüglich der Ausschlagung der Erbschaft nach dem Vorverstorbenen droht.
Hinweis: Der Nachlasspfleger hat die Möglichkeit, den Nachlass vor dem Zugriff durch Gläubiger zu schützen, indem die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses erhoben wird oder die Berufung auf den Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung erfolgt.
Quelle: BGH, Beschl. v. 16.03.2022 - IV ZB 27/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Im Zivilprozess gilt der Grundsatz, dass aus prozessökonomischen Gründen eine Leistungsklage Vorrang vor einer reinen Feststellungsklage hat. Behauptet beispielsweise ein Kläger einen Zahlungsanspruch, kann er nicht eine reine Feststellungsklage mit dem Ziel erheben, feststellen zu lassen, dass ihm dieser Anspruch zusteht, um dann erst in einem Folgeprozess die Leistung geltend zu machen. Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle (OLG) gilt dieser Vorrang auch in den Fällen, in denen die Unwirksamkeit seines Pflichtteilsentzugs geltend gemacht werden soll.
Der 2020 verstorbene Erblasser hatte unter anderem aufgrund eines notariellen Testaments seinen Sohn von seinem Pflichtteil ausgeschlossen. Hintergrund war, dass der Sohn drogenabhängig war und aufgrund mehrerer Strafverfahren - unter anderem wegen Beihilfe zum Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen - verurteilt wurde. Nach dem Tod des Erblassers erhob der Sohn eine Feststellungsklage vor dem zuständigen Landgericht (LG), um feststellen zu lassen, dass der Pflichtteilsentzug in dem notariellen Testament unwirksam war. Diesem Antrag hatte das LG auch stattgegeben.
Auf die Berufung der Erben hob das OLG die Entscheidung jedoch wieder auf. Denn nach Ansicht des OLG hätte der Sohn direkt eine Leistungsklage in Form einer isolierten Auskunftsklage oder in Form einer Stufenklage mit einem zunächst unbezifferten Antrag auf Zahlung des Pflichtteils erheben können. Die Frage des Pflichtteilsentzugs wäre dann innerhalb dieses Rechtsstreits zu klären. Ein gesondertes Feststellungsinteresse konnte der Sohn nicht geltend machen.
Hinweis: Hiervon zu unterscheiden ist die sogenannte Erbfeststellungsklage: Bei dieser Klageart geht es um die Frage, wer Erbe nach dem verstorbenen Erblasser geworden ist. Eine Erbfeststellungsklage ist neben dem Erbscheinsverfahren zulässig.
Quelle: OLG Celle, Urt. v. 17.03.2022 - 6 U 63/21
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 06/2022)
An einem Verfahren zur Ernennung eines Testamentsvollstreckers sind neben dem Testamentsvollstrecker selbst kraft Gesetzes auch die Erben auf deren Antrag hin zu beteiligen. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) gilt die Beteiligungsmöglichkeit jedoch nicht für Vermächtnisnehmer.
Der Erblasser hatte zwei Vermächtnisse zugunsten der Vermächtnisnehmerin eingeräumt - zum einen ein lebenslanges Wohnrecht in einer Immobilie und zum anderen die Zuwendung der Wohnungseinrichtung des Erblassers nebst dem dazugehörigen Hausrat. Zudem hatte der Erblasser eine Testamentsvollstreckung angeordnet, zunächst als Abwicklungsvollstreckung und anschließend als zeitlich befristete Dauervollstreckung. Die Vermächtnisnehmerin machte vor dem zuständigen Amtsgericht geltend, an dem Verfahren zur Ernennung des Testamentsvollstreckers beteiligt zu werden, und begehrte zudem Einsicht in die betreffenden Akten des Nachlassgerichts.
Dieses Recht lehnte das OLG letztlich ab und verwies dazu auf die abschließende Aufzählung der Beteiligten im Gesetz: Vermächtnisnehmer sind dort schlicht und ergreifend nicht aufgeführt.
Hinweis: Ein Recht auf Akteneinsicht kann sich nur nach den allgemeinen Regeln ergeben, wenn der entsprechende Antragsteller ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen kann und schutzwürdige Interessen eines Beteiligten dem nicht entgegenstehen.
Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 04.04.2022 - 3 Wx 86/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Zum Thema Familienrecht
- Erst Jugendamt, dann Gericht: Wer außergerichtlichen Einigungsversuch umgehen will, verliert Anspruch auf Verfahrenskostenhilfe
- Ordnungsgeld nach Umgangsverweigerung: Auch eine Wöchnerin darf den Umgang von älterer Tochter nicht einfach ausfallen lassen
- Wille eines Zwölfjährigen: Wechselmodell kann auch bei andauerndem Elternkonflikt durchgesetzt werden
- Wohnvorteil entscheidend: Tilgungsleistungen eines Immobiliendarlehens können beim Kindesunterhalt berücksichtigt werden
- Zugewinnausgleich: Unternehmensbewertung einer Rechtsanwaltskanzlei muss auch den Goodwill berücksichtigen
Verfahrenskostenhilfe (VKH) - Prozesskostenhilfe außerhalb des Famlienrechts - können diejenigen beantragen, die sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln außerstande sehen, die Prozesskosten selbst zu tragen. Doch dabei sollte verantwortungsvoll mit öffentlichen Mitteln umgegangen werden, wie kürzlich sowohl das Amtsgericht Bad Liebenwerda (AG) als auch das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) bestätigten.
Wenn getrenntlebende Eltern sich um Umgangs- oder Sorgerecht streiten, vermittelt das örtliche Jugendamt oder verweist die Eltern an eine kostenfreie Beratungsstelle. Wenn man den Versuch einer außergerichtlichen Einigung jedoch überspringen möchte und gleich einen Antrag beim Familiengericht stellt, bekommt man dort in der Regel keine VKH bewilligt. So ging es einem Vater beim AG.
Auch das OLG bestätigte schließlich die Ablehnung. Es sei nicht der Zweck der VKH, auf Kosten der Allgemeinheit bedürftigen Personen Prozesse zu ermöglichen, die ein Selbstzahler nicht führen würde. Ein auf sein Geld achtender Selbstzahler würde zunächst kostenlose Angebote wahrnehmen und erst nach deren Scheitern gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen. Erst, wenn solche Bemühungen fehlgeschlagen oder objektiv aussichtslos sind oder die Dringlichkeit einen solchen Zeitverlust nicht zulässt, ist VKH möglich.
Hinweis: Der Anspruch auf Beratung und Unterstützung durch das Jugendamt bei der Ausübung des Umgangsrechts beruht auf § 18 Achtes Buch Sozialgesetzbuch.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Urt. v. 07.04.2022 - 13 WF 52/22
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 06/2022)
Wenn vor Gericht der Umgang zwischen einem Kind und seinem getrenntlebenden Elternteil festgelegt wurde - egal, ob durch Beschluss oder Einigung -, dann ist das für alle verbindlich. Bei Verstößen kann das Gericht finanziellen Druck aufbauen, so wie das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG), das im folgenden Fall die Vorinstanz bestätigte.
Ein Vater durfte seine Tochter ohnehin schon nur unter professioneller Begleitung sehen. Die Mutter war durch das Amtsgericht (AG) verpflichtet worden, das Kind zu den Terminen in einem sogenannten "Familienzentrum" abzugeben. Zweimal erschien die Mutter nicht - folglich auch nicht die Tochter. Die Mutter begründete das damit, dass sie zwei bzw. vier Wochen zuvor erneut ein Kind geboren habe, somit noch Wöchnerin war. Zudem sei das Neugeborene krank gewesen. Weder ihr noch dem Baby seien die Strapazen einer solchen mehrstündigen Aktivität zumutbar gewesen. Niemand sonst habe die ältere Tochter zum 30 km entfernten Familienzentrum bringen und abholen können.
Trotz dieser Begründung musste sie ein Ordnungsgeld von 300 EUR zahlen. Denn das OLG bestätigte das AG: Die Umgangsregelung ist für beide Elternteile verbindlich. Wer Termine ausfallen lässt, müsse sich so entschuldigen, dass man ihm nichts vorwerfen können, denn die sogenannte Vorwerfbarkeit wird gesetzlich vermutet. Das OLG war hier der Meinung, dass sowohl die Wöchnerin als auch ihr Neugeborenes die Autofahrt und die Wartezeit während des Umgangs hätten schaffen müssen. Eine "krankheitsbedingte Transportunfähigkeit" sei nicht ärztlich attestiert worden - und selbst wenn, hätte die Mutter sich rechtzeitig um jemanden kümmern müssen, der die ältere Tochter zum Umgang mit ihrem Vater bringt.
Hinweis: Solche Beschlüsse haben meist eine lange Vorgeschichte von Umgangsverweigerung, weshalb die Gerichte über das Ordnungsgeld versuchen, einen verweigernden Elternteil zu erziehen. Die Höhe des Ordnungsgelds wird immer individuell anhand der wirtschaftlichen Verhältnisse und der Mutwilligkeit des Verstoßes festgelegt. Diese Beträge fließen jedoch in die Staatskasse und nicht an den, dessen Umgangskontakt ausgefallen ist.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 21.04.2022 - 13 WF 51/22
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 06/2022)
Nachdem der Bundesgerichtshof 2017 klargestellt hat, dass Gerichte auch gegen das Veto einer Mutter das Wechselmodell erzwingen können, sind die Störung der elterlichen Kommunikation, die fehlende Kooperationsfähigkeit und die sogenannte Hochkonflikthaftigkeit weiterhin die häufigsten K.-o.-Kriterien für dieses Umgangsmodell. Zunehmend gehen Gerichte auch damit allerdings sehr differenziert um und prüfen, ob diese gestörte Elternebene nicht in allen Betreuungsmodellen gleichermaßen schädlich ist und es die Situation sogar entschärfen könnte, wenn zwischen den Eltern kein Machtgefälle mehr empfunden wird.
In diesem Fall war 2021 für das Amtsgericht (AG) ausschlaggebend gewesen, dass das damals elfjährige Kind sich nach einer Zeit, in der es den Vater in jeder zweiten Woche von Donnerstagnachmittag bis Dienstagmorgen getroffen hatte, einen Woche-Woche-Wechsel gewünscht hatte. Da die Entscheidung des AG sofort wirksam war, wurde dies dann auch vorläufig umgesetzt, obwohl die Mutter zum Oberlandesgericht (OLG) in Beschwerde ging. Bis zur einer Entscheidung 2022 nach einer gescheiterten Mediation der Eltern konnte man somit bereits auf ein Jahr Wechselmodellerfahrung zurückblicken. Das Kind wollte diese Umgangsform immer noch, beschrieb diese Regelung als besser als zuvor und zudem als "fair". Praktische Probleme habe es nicht gegeben. Eine vernünftige, am Kindeswohl orientierte Kooperation und Kommunikation zwischen den Eltern war jedoch immer noch kaum möglich. Es fehlte weiterhin an gegenseitigem Respekt und Vertrauen, die direkte Kommunikation war eingestellt. Der massive Elternkonflikt war zudem Gegenstand eines Sorgerechtsverfahrens bezüglich einer ärztlichen Behandlung, da das Kind seit Jahren Verhaltensauffälligkeiten wegen des andauernden Elternkonflikts zeigte.
Die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern ist nach OLG aber nur ein Abwägungsgesichtspunkt, der im Einzelfall zurücktreten kann. Gegenüber anderen Betreuungsgestaltungen - wie etwa dem zuvor praktizierten erweiterten Umgang des Vaters mit seinem Sohn - stellte das Wechselmodell nach dem "Prinzip der Schadensminimierung" das für das Kind am wenigsten schädliche und damit im Vergleich beste Betreuungsmodell dar. Alle für die Durchführung des Wechselmodells bedeutsamen Fragen seien zwischen den Eltern geklärt. Daher funktioniere das Wechselmodell in der Praxis im Wesentlichen reibungslos.
Den klaren, gut begründeten und im Verfahren mehrfach geäußerten Willen des inzwischen fast Zwölfjährigen konnte das OLG nicht übergehen. Das hohe Gerechtigkeitsempfinden des Kindes sei zu respektieren. Das gelte auch vor der Überlegung, dass das Kind Opfer eines Loyalitätskonflikts sei und nur "Ruhe" wolle. Der konstant geäußerte Wunsch nach hälftiger Betreuung stelle seine psychische Lebenswirklichkeit dar. Eine Nichtbeachtung des Willens berge die Gefahr einer Schwächung der kindlichen Selbstwirksamkeitserwartung mit voraussichtlich negativen Folgen für seine psychische Entwicklung.
Hinweis: Das OLG entschied ohne Sachverständigen, weil es die Sachlage nach Anhörung des Kindes so eindeutig fand, dass es von einem Sachverständigengutachten keinen erheblichen Erkenntnisgewinn erwartete. Üblicherweise werden in solchen Verfahren jedoch Gutachten über die Familie eingeholt, die die Eltern viele tausend Euro kosten, wenn sie nicht Verfahrenskostenhilfe gewährt bekommen haben.
Quelle: OLG Dresden, Beschl. v. 14.04.2022 - 21 UF 304/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Wohnt ein Unterhaltspflichtiger in einem Eigenheim und behauptet dann, ihm bliebe nicht genug, um den geschuldeten Kindesunterhalt zu leisten, mag man instinktiv zuerst die Stirn in Falten legen. Doch so einfach, wie es sich auf den ersten Blick liest, ist die Sache naturgemäß nicht. Denn hier spielen auch in den Augen des Bundesgerichtshofs (BGH) sowohl der Mietwert der Immobilie als auch diesbezügliche Kreditbelastungen eine Rolle.
Ein Vater zahlte für seine 13 und 15 Jahre alten Kinder aus geschiedener Ehe keinen Unterhalt, weil er sich diesen angeblich nicht leisten könne. Also sprang die Unterhaltsvorschusskasse beim Jugendamt ein und verlangte die Beträge vom Vater nun ersetzt. Der Vater verdiente bereinigt 1.664 EUR netto und hatte sich eine kleine Immobilie zum Selbstbewohnen bankfinanziert gekauft. Der Mietwert lag um 27,50 EUR höher als die Raten an die Bank. Insgesamt konnte der Vater sich damit unter Beachtung seines Selbstbehalts von 1.160 EUR nicht den Mindestunterhalt leisten, sondern nur 252 EUR je Kind (so das Amtsgericht). Die Unterhaltsvorschusskasse widersprach, da von den Darlehensraten nur der Zins, nicht aber die Tilgung abziehbar sei, und verlangte mehr. Das daraufhin eingeschaltete Oberlandesgericht verglich die Konstellation mit der Situation, in der der Vater zur Miete wohnen würde. Nach dieser Rechnung würde noch weniger für die Kinder zur Verfügung stehen - nämlich nicht die Differenz aus Wohnwert (350 EUR) und Darlehen (322,50 EUR).
Den Gedanken trug auch der BGH mit. Zwar handele es sich bei der Tilgung des Immobilienkredits um eine Vermögensbildung - und diese sei zu Lasten eines Mindestunterhalts Minderjähriger eigentlich nicht gestattet. Aber in diesem Fall gehe dies nicht "zu Lasten" des Unterhaltsberechtigten, weil es ohne Zins und Tilgung den zu seinen Gunsten berücksichtigten Wohnvorteil in Form einer ersparten Miete gar nicht gäbe.
Hinweis: Anders sähe die Lage aus, wenn die Darlehensraten höher als die ersparte Miete wären. Das wird beim Mindestkindesunterhalt sehr kritisch gesehen und muss zur Prüfung führen, ob eine ungewöhnlich hohe Tilgung vereinbart wurde.
Quelle: BGH, Urt. v. 09.03.2022 - XII ZB 233/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)
Ist ein Ehepartner selbständiger Unternehmer, stellt ihn die Scheidung vor das Problem, seinen Unternehmensanteil bewerten (lassen) zu müssen. Neben dem Sachwert und Ertragswert gibt es dabei auch den sogenannten "Goodwill" - den Preis für den guten Ruf des Unternehmens. Und eben jener war für den Bundesgerichtshof (BGH) in einem Fall entscheidend, in dem zwei Münchener Eheleute im Scheidungsverfahren über den Umfang der Auskunftspflicht über das Vermögen stritten.
Bevor man den Wert eines Unternehmens feststellen kann, benötigt man aussagekräftige Unterlagen. Der Stichtag für die Auskunft zum Endvermögen lag hier im Januar 2019. Zu diesem Zeitpunkt war der Ehemann als Rechtsanwalt Partner einer Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten und Steuerberatern gewesen. Zum September 2019 hatte der Ehemann den Partnern gekündigt, wechselte beruflich in eine andere Gesellschaft und bekam bei seinem Ausscheiden eine Abfindung. Er meinte nun, der Frau müsse die Höhe der Abfindung genügen, um zu beurteilen, welchen Wert sein Gesellschaftsanteil im Januar 2019 gehabt habe.
Das sah der BGH jedoch anders. Zum einem war der zeitliche Abstand von neun Monaten zwischen Stichtag und Ausscheiden zu groß, das war nicht mehr "zeitnah". Zum anderen musste die Abfindung nicht zwingend etwas über den wirklichen Anteilswert aussagen, weil damit der "Goodwill" nicht mitvergütet worden war. Denn seinen guten Ruf - und unter Umständen auch seine Mandanten - nahm der Anwalt ja mit in seine neue Gesellschaft.
Hinweis: Alle Argumente, die der Mann gegen die Werthaltigkeit seines Unternehmensanteils vorbrachte, waren dem BGH erstmal gleichgültig - diese könne er später noch einwenden, sobald die Gegenseite den Wert beziffert und den Ausgleich verlangt habe. Dasselbe galt für das Verbot der Doppelberücksichtigung in Zugewinn und Unterhalt. Zuerst waren Auskunft zu erteilen und Belege vorzulegen, denn das ist immer dann der Fall, wenn die Auskunft nicht von vorneherein völlig unerheblich für die Anspruchshöhe sein kann.
Quelle: BGH, Beschl. v. 23.02.2022 - XII ZB 38/21
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(aus: Ausgabe 06/2022)