Rechtsnews
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Zum Thema Erbrecht
- Erbeinsetzung oder Vermächtnis: Entscheidung erst durch notwendige Feststellung zu Wertverhältnissen möglich
- Ererbtes Ausschlagungsrecht: BGH bestätigt rechtmäßige Erbschaftsausschlagung durch den Fiskus
- Internationales Testamentsvollstreckerzeugnis: Ohne ausdrückliche Rechtswahl gilt Gesamtrechtsnachfolge des letzten gewöhnlichen Aufenthaltstaats
- Masseverbindlichkeiten statt Insolvenzforderungen: Über die Verjährung von Ansprüchen in der Nachlassinsolvenz
- Mitglied einer Erbengemeinschaft: Ohne erhebliche Einwendungen ist die Heranziehung zu öffentlichen Kostenbeiträgen rechtens
Ein Vermächtnis ist eine Vermögenszuwendung an eine Person, ohne dass diese als Erbe eingesetzt wird. Vermacht man sein Vermögen oder einen Bruchteil dessen einem Bedachten, ist die Verfügung als Erbeinsetzung anzusehen. Stehen dem Bedachten nur einzelne Gegenstände zu, ist im Zweifel nicht anzunehmen, dass dieser als Erbe eingesetzt werden sollte. Unterscheidungskriterium ist der Wert des Gegenstands, wie auch das Oberlandesgericht München (OLG) hier nochmals klarstellen musste.
Die Erblasserin war im Jahr 2022 verstorben und hinterließ zwei Adoptivkinder, nachdem der Ehemann bereits vorverstorben war. Die Eheleute hatten im Jahr 1963 einen notariellen Ehe- und Erbvertrag sowie im Jahr 1997 ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Zudem hatte die Erblasserin im Jahr 2007 sowie im Jahr 2016 zwei weitere Testamente errichtet. Das gemeinschaftliche Testament der Eheleute enthielt im Wesentlichen eine sogenannte Pflichtteilsstrafklausel. Ein Adoptivkind der Erblasserin war der Ansicht, dass ihm ein Erbschein zu erteilen sei, der es als Alleinerbe ausweist. In dem Ehe- und Erbvertrag sei ihm allein der wesentliche Vermögensgegenstand zugewandt worden. Auch das Nachlassgericht beabsichtigte, sich dieser Ansicht anzuschließen, kündigte einen entsprechenden Erbschein an und setzte die sofortige Wirksamkeit zunächst aus.
Die Beschwerde des weiteren Adoptivkinds wurde umfangreich begründet, wobei das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abhalf und die Angelegenheit dem OLG zur Entscheidung vorgelegt hat. Dieses hat die Angelegenheit jedoch an das Nachlassgericht zurückverwiesen, da es der Ansicht war, das Nachlassgericht habe sich entgegen dem Zweck des Abhilfeverfahrens nicht mit der Beschwerdebegründung auseinandergesetzt. Für das weitere Verfahren hat der Senat darauf hingewiesen, dass das Nachlassgericht für die Annahme, dass es sich um eine Erbeinsetzung gehandelt hat, Wertfeststellungen zum Erblasservermögen zum Zeitpunkt der Errichtung des Vertrags treffen muss. Anderenfalls könne nicht beurteilt werden, ob die Zuwendung eines Einzelgegenstands eine Erbeinsetzung oder die Anordnung eines Vermächtnisses sei. Des Weiteren hat das OLG darauf hingewiesen, dass eine auch schon seit vielen Jahren bestehende Rechtsprechung zu beachten sei, laut der auch die Errichtung einer sogenannten Pflichtteilsstrafklausel eine Erbeinsetzung darstellen kann. Dies müsse das Nachlassgericht jedenfalls für den Fall in Erwägung ziehen, dass der Ehe- und Erbvertrag nicht bereits eine Erbeinsetzung beinhaltet hat.
Hinweis: Pflichtteilsstrafklauseln sollen verhindern, dass nach dem Tod des Erstversterbenden Pflichtteilsansprüche gegenüber dem Längstlebenden geltend gemacht werden. Macht der Abkömmling diese Ansprüche trotzdem geltend, soll er von der Schlusserbfolge ausgeschlossen sein.
Quelle: OLG München, Beschl. v. 29.02.2024 - 33 Wx 309/23 e
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 07/2024)
Im Gegensatz zu Erben steht es dem Fiskus als gesetzlichem Erben nicht zu, eine Erbschaft auszuschlagen. So soll verhindert werden, dass ein Nachlass "herrenlos" wird. Ob dies auch gilt, wenn sich in dem Nachlass die Erbschaft eines Vorverstorbenen befindet, war Gegenstand einer jüngeren Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH).
Der Erblasser war am 15.01.2021 verstorben und hatte in einem notariellen Testament seinen Sohn zum Alleinerben und - für den Fall, dass dieser vor ihm versterben sollte - ersatzweise seinen Enkel als Erben bestimmt. Der Sohn verstarb ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung bereits wenige Tage nach seinem Vater. Dessen Sohn schlug daraufhin form- und fristgerecht die Erbschaft nach seinem Vater aus. Mit Beschluss vom 25.03.2021 stellte das Nachlassgericht daraufhin fest, dass der Freistaat Sachsen Erbe nach dem verstorbenen Sohn des Erblassers geworden sei. Schließlich schlug der Fiskus die Erbschaft nach dem Erblasser aber aus, und dem Enkel des Erblassers wurde ein Erbschein ausgestellt, der ihn als Alleinerben auswies. In einem darauf folgenden Nachlassinsolvenzverfahren war der Insolvenzverwalter nun aber der Ansicht, dass dieser Erbschein unrichtig sei und eingezogen werden müsse. Dieser Ansicht schlossen sich die Rechtsinstanzen nicht an.
Laut BGH sei zutreffend, dass dem Fiskus im konkreten Fall das Recht zugestanden habe, die Erbschaft nach dem Sohn des Erblassers auszuschlagen. Im Wege der Rechtsnachfolge sei nämlich auch das Recht des Sohns zur Ausschlagung der Erbschaft aufgrund der testamentarischen Verfügung des Erblassers auf den Fiskus übergegangen. Von dem gesetzlichen Ausschlagungsverbot nicht erfasst sei auch ein ererbtes Ausschlagungsrecht. Da die Gerichte der Ansicht waren, dass das notarielle Testament so zu verstehen sei, dass der Enkel auch dann erben solle, wenn der Vater nicht vor dem Erblasser verstirbt, war der erteilte Erbschein richtig und nicht einzuziehen.
Hinweis: Die Ausschlagungsfrist beträgt sechs Wochen. Beruht die Erbenstellung auf einer Verfügung von Todes wegen, beginnt die Frist nicht vor Bekanntgabe der Verfügung durch das Nachlassgericht.
Quelle: BGH, Beschl. v. 24.04.2024 - IV ZB 23/23
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 07/2024)
Dass die Europäische Erbrechtsverordnung auch Regeln für die Gesamtrechtsnachfolge vorgibt, wenn verstorbene EU-Bürger ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt in einem außereuropäischen Staat hatten, war vor kurzem Thema vor dem Amtsgericht Bonn (AG). Anlass war die Gegenwehr zweier Hinterbliebener in Deutschland, die die Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses für einen sogenannten Executor in Afrika zu verhinden versuchten.
Die Erblasserin war deutsche Staatsangehörige und an ihrem letzten gewöhnlichen Aufenthaltsort in Afrika verstorben. Sie hatte zunächst im Jahr 2006 ein handschriftliches Testament errichtet und ihre Nichten zu alleinigen Erben ihres in der Bundesrepublik Deutschland befindlichen Vermögens eingesetzt. Im August 2011 errichtete die Erblasserin dann ein maschinenschriftlich verfasstes Testament im Beisein von drei Zeugen in englischer Sprache und widerrief alle vorher von ihr verfassten Testamente. Zugleich setzte sie einen Executor zum Zweck der Abwicklung des Nachlasses ein - vergleichbar mit dem Einsetzen eines Testamentsvollstreckers nach deutschem Recht. Die Nichten wandten sich gegen die Erteilung eines in Deutschland beantragten Testamentsvollstreckerzeugnisses für den Executor und waren der Ansicht, für den in Deutschland befindlichen Nachlass sei nur das Testament aus dem Jahr 2006 maßgeblich. Die im Jahr 2011 getroffene Verfügung sei nach deutschem Recht keine formal wirksame Verfügung.
Das AG hat das beantragte Testamentsvollstreckerzeugnis erteilt. Deutsche Gerichte seien zunächst zuständig, da sich Nachlassvermögen innerhalb der Bundesrepublik befinde. Darüber hinaus sei für den Fall aber nicht auf das deutsche Erbrecht abzustellen. Nach der Europäischen Erbrechtsverordnung unterliegt die Gesamtrechtsnachfolge grundsätzlich dem Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt des Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte - auch dann, wenn es sich dabei um ein Nicht-EU-Land handelt. Etwas anderes gilt nur, wenn eine ausdrückliche Rechtswahl getroffen wird, was vorliegend nicht der Fall war. Das AG kam zu dem Ergebnis, dass das Testament nach dem nationalen Recht des Aufenthaltslands wirksam errichtet worden sei. Dies beinhaltete auch die Einsetzung eines Executors. Da das Testament aus dem Jahr 2011 den gesamten Nachlass regeln sollte und die Einsetzung des Executors nicht auf ein bestimmtes Nachlassvermögen beschränkt war, erstreckt sich dessen Tätigkeit auch auf das in der Bundesrepublik Deutschland befindliche Vermögen.
Hinweis: Durch das Testamentsvollstreckerzeugnis weist sich der Testamentsvollstrecker gegenüber Dritten als verfügungsbefugt über den Nachlass aus. Das Zeugnis wird nur auf einen ausdrücklichen Antrag hin erteilt.
Quelle: AG Bonn, Beschl. v. 14.04.2024 - 34 VI 136/23
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 07/2024)
Erben haften für Nachlassverbindlichkeiten mit ihrem gesamten Vermögen. Soll im Fall einer Überschuldung des Nachlasses die Haftung auf den Nachlass beschränkt werden, besteht die Möglichkeit, einen Antrag auf Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens zu stellen. Dass Ansprüche im Rahmen einer Nachlassinsolvenz aber auch verjähren können, war Gegenstand einer Entscheidung des Landgerichts Saarbrücken (LG).
Der 2011 verstorbene Erblasser wurde von seiner zweiten Ehefrau sowie von vier Kindern beerbt. Im Jahr 2012 wurde über den Nachlass, zu dem mehrere Immobilien gehörten, ein Nachlassinsolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet. Die Ehefrau meldete zunächst von ihr getätigte Aufwendungen - unter anderem für die Beerdigung - zur Insolvenztabelle an. Die Insolvenzverwalterin bestritt sämtliche geltend gemachten Forderungen. In der Folge machte die Ehefrau gerichtlich Ansprüche im Zusammenhang mit der Nachlassverwaltung als sogenannte Masseforderung gegenüber der Insolvenzverwalterin geltend. Die Geltendmachung erfolgte im Jahr 2017.
Nachdem die Insolvenzverwalterin sich jedoch berechtigterweise auf die Einrede der Verjährung berief, musste das LG ihr zustimmen. Die Klägerin machte ihre Ansprüche als Masseverbindlichkeit geltend. Dies sind grundsätzlich Ansprüche, die erst durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen. Diese Ansprüche waren laut LG spätestens im Jahr 2012 entstanden, so dass grundsätzlich eine Verjährung mit Ablauf des Jahres 2015 eingetreten war. Maßgeblich hierbei ist die dreijährige Regelverjährungsfrist. Die Verjährung war auch nicht gehemmt. Zwar geschehe dies durchaus durch die wirksame Anmeldung im Insolvenzverfahren - hiervon erfasst werden aber nur Ansprüche, die als Insolvenzforderung geltend gemacht werden. Das LG stelle zudem klar, dass es keine Verpflichtung der Insolvenzverwalterin gegeben hat, die Erbin darauf hinzuweisen, dass es sich bei den geltend gemachten Forderungen um Masseverbindlichkeiten gehandelt hat - und eben nicht um Insolvenzforderungen.
Hinweis: Für den Antrag auf Eröffnung einer Nachlassinsolvenz ist es ausreichend, wenn nur ein Miterbe diesen Antrag stellt.
Quelle: LG Saarbrücken, Urt. v. 16.02.2024 - 3 U 2/24
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 07/2024)
Grundstückseigentümer haften unter bestimmten Voraussetzungen für öffentlich-rechtliche Beiträge, beispielsweise zu straßenbaurechtlichen Maßnahmen. Welche Ermittlungen eine Kommune hierbei anstellen muss, um die Erbfolge nach einem verstorbenen Erblasser zu klären, war Gegenstand einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt an der Oder (VG).
Hier stritten sich die Beteiligten um die Heranziehung eines Mitglieds einer Erbengemeinschaft zur Zahlung von Beiträgen für Straßenbaumaßnahmen. Der ursprüngliche Grundstückseigentümer war verstorben und die Erben aus dem Grundbuch nicht zu ersehen. Das VG entschied, dass die Behörde in Fällen, in denen die Person des Grundstückseigentümers deshalb nicht aus dem Grundbuch zu ersehen sei, weil der eingetragene Eigentümer zwischenzeitlich verstorben war, die von ihr zu erlassenden Beitragsbescheide an denjenigen richten kann, den sie nach sorgfältiger Sachverhaltsaufklärung für den Erben halten darf. Nur wenn der Adressat dieser Beitragsbescheide seinerseits erhebliche Einwendungen gegen seine Erbenstellung vorbringt, sei es wiederum Behördenaufgabe, die von ihr angenommene Rechtsnachfolge zur Überzeugung des Gerichts zu belegen.
Im zu entscheidenden Fall gab es Anhaltspunkte dafür, dass der Adressat des Beitragsbescheids zumindest Miterbe nach dem Eigentümer geworden war, da er dies selbst in einem außergerichtlichen Schriftverkehr geäußert hatte. Es war daher nicht zu beanstanden, dass in einem Fall, in dem ein Grundstück in einer Erbengemeinschaft steht, im Zuge der Beitragsveranlagung nicht alle Mitglieder der Erbengemeinschaft zur Zahlung herangezogen werden, sich der Beitragsbescheid vielmehr nur an ein Mitglied der Erbengemeinschaft richtet.
Hinweis: Wird nur ein Mitglied der Erbengemeinschaft auf Zahlung eines Beitrags in Anspruch genommen, steht ein Ersatzanspruch gegenüber den anderen Miterben im Innenverhältnis im Raum.
Quelle: VG Frankfurt (Oder), Urt. v. 02.05.2024 - 3 K 270/22
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 07/2024)
Zum Thema Familienrecht
- Haager Kindesentführungsabkommen: Über die Rückführung eines Kleinkinds in Krisengebiete
- Kein Beschluss nach Aktenlage: Kinder müssen vom Familienrichter angehört werden
- Klageweg vereinfacht: BGH ändert seine Rechtsprechung zum Kindesunterhalt im Wechselmodell
- Sorgerechtsentzug keine Lösung: Wenn Kinder den Kontakt zu einem Elternteil verweigern
- Statistik des Bundesfamilienministeriums: Familienreport zeigt Lebenslagen von Familien auf
- Personen mit Kindern im Haushalt sind insgesamt zufriedener als Personen ohne eigene Kinder.
- In Ostdeutschland leben im Vergleich zu Westdeutschland mehr Alleinerziehende (25 % versus 19 %) und mehr unverheiratete Eltern (21 % versus 10 %).
- Die Betreuungsquote der unter Dreijährigen in Kindertagesbetreuungen ist erneut gestiegen (36,4 % im Jahr 2023) - im Vergleich zum Jahr 2006 hat sie sich fast verdreifacht.
- Eltern verbringen mehr Zeit mit ihren Kindern als noch vor zehn Jahren (Väter + 28 Minuten/Tag; Mütter: + 33 Minuten/Tag).
- Trotz der zunehmenden Bereitschaft der Väter, Verantwortung zu übernehmen, schultern weiterhin die Mütter den Großteil der Kinderbetreuung.
- Viele Eltern wünschen sich eine partnerschaftliche Aufgabenteilung bei Familie und Beruf. Es gelingt ihnen aber häufig nicht, dies in die Realität umzusetzen. 75 % der Mütter in Paarfamilien übernehmen den Großteil der Kinderbetreuung, aber nur 48 % finden das ideal.
- Elternpaare, die Sorge- und Erwerbsarbeit partnerschaftlich aufteilen, berichten deutlich häufiger über ein gutes Familienklima, enge Beziehungen zwischen Eltern und Kindern und gegenseitige Unterstützung.
- Väter sind heute seltener Alleinverdiener als früher. Der Anteil der Familien mit einem traditionellen Alleinverdienermodell ist von 33 % (2008) auf 26 % (2022) zurückgegangen. Der Anteil der erwerbstätigen Mütter ist im selben Zeitraum von 63 % auf 69 % gestiegen
Internationale Kindesentführungen folgen in allen Staaten, die dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) beigetreten sind, einer einfachen Regel: Schnellstens muss das Kind in das Land der Entführung zurück, damit dort gerichtlich über sein weiteres Schicksal entschieden werden kann. Doch was ist, wenn es sich wie im Fall des Oberlandesgerichts Stuttgart (OLG) dabei um ein Krisengebiet handelt?
In diesem Fall ging es um ein nicht einmal ein Jahr altes Kind eines griechisch-deutschen Elternpaars, das aus beruflichen Gründen in Israel lebte. Die Mutter flog heimlich mit dem Kind nach Deutschland, der Vater stellte bei der Behörde in Israel einen Antrag auf Rückführung.
Das OLG verurteilte die Mutter auch tatsächlich, das Kind innerhalb einer Woche nach Israel zurückzubringen, und drohte ihr bei Weigerung Ordnungsgeld und Ordnungshaft an. Zudem gab das Gericht dem Gerichtsvollzieher die Freigabe, das Kind nach Ablauf dieser Frist mit Durchsuchen der Wohnung und polizeilicher Hilfe abzuholen.
Zur Eskalation des Nahostkonflikts nahm das OLG wie folgt Stellung: Die Voraussetzungen der Härteklausel gemäß Art. 13 HKÜ können vorliegen, wenn das Kind in ein Kriegs- oder Bürgerkriegsgebiet zurückgeführt werden soll und dort eine konkrete Gefahr für das Kind bestehe. Allerdings gehören die in dem Herkunftsstaat herrschenden generellen Lebensbedingungen zum allgemeinen Lebensrisiko, das in der Regel hinzunehmen sei. Eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts führe nicht automatisch zur Annahme einer schwerwiegenden Gefahr. Bei der Prüfung der Frage, ob die maßgebliche Gefährdungsschwelle im vorliegenden Fall erreicht ist, hat das OLG berücksichtigt, dass die Sicherheitslage im Staat Israel schon seit langer Zeit angespannt sei und beide Elternteile im Jahr 2020 das Risiko, in Israel zu leben, als vertretbar angesehen und sich für einen Aufenthalt dort entschieden haben.
Hinweis: Die Ukraine betreffend hatte dasselbe OLG eine Rückführung abgelehnt und führte in seiner neuen Entscheidung aus, dass die Gefahrenlage in der Ukraine nicht mit der in Israel vergleichbar sei.
Quelle: OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.05.2024 - 17 UF 71/24
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 07/2024)
Über Kinder darf nicht wie über Sachen - also nie nach Aktenlage - entschieden werden. Das Gericht muss sich stets einen persönlichen Eindruck vom betroffenen Kind verschaffen und es kennenlernen. Weil es daran mangelte, hob das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) die Entscheidung eines Familienrichters als verfahrensfehlerhaft auf und gab ihm auf, die erforderliche Anhörung nachzuholen.
Es ging um einen unstreitig alkoholkranken Vater, der rückfällig geworden war. Jemand hatte anonym eine Kindeswohlgefährdung beim Jugendamt gemeldet, das bei einem Hausbesuch das Kind dann auch in Obhut nahm. Im Verfahren behauptete der Vater, er sei nun abstinent und könne das Kind versorgen. Außerdem wolle das Kind auch wieder bei ihm wohnen. Von seiner Abstinenz war das Gericht jedoch nicht überzeugt. Es käme wegen der objektiven Kindeswohlgefährdung auf den Kindeswillen sowieso nicht an - und so veranlasste der Richter auch keine Anhörung des Kindes.
Laut OLG ist die persönliche Anhörung des Kindes jedoch zwingend. Sie dient auch dem Verschaffen eines Eindrucks von dem Kind durch das Familiengericht, um daraus Rückschlüsse auf dessen Befindlichkeit, Wünsche, Neigungen und Bindungen zu ziehen. Das OLG habe daher die Aufgabe, das Verfahren unter Berücksichtigung des Alters, des Entwicklungsstands und der sonstigen Fähigkeiten des Kindes so zu gestalten, dass das Kind seine persönlichen Beziehungen zu den Eltern erkennbar werden lassen kann. Sollte tatsächlich, wie das erstinstanzliche Gericht mutmaßt, der Wille des Kindes mit dessen Wohl nicht in Einklang zu bringen sein, ist dies in der Entscheidung zu begründen. Das Gericht hat von vornherein die Pflicht, den Kindeswillen im Rahmen der Amtsermittlung zu erforschen. Denn dieser sei zu berücksichtigen, soweit das mit Kindeswohl vereinbar ist. Eine angemessene Berücksichtigung findet der Kindeswille selbst dann, wenn er gegen andere Kindeswohlkriterien abgewogen und ihm im Ergebnis nicht nachgekommen wird.
Hinweis: Seit Juni 2021 gilt die Anhörungspflicht unabhängig vom Alter des Kindes. Eine Unterscheidung nach dem Kindesalter hielt der Gesetzgeber im Hinblick darauf für nicht erforderlich, dass die Fähigkeiten eines Kindes, einen eigenen Willen zu entwickeln und im Verfahren zum Ausdruck zu bringen, individuell verschieden und nicht vom Alter des Kindes abhängig sind. Bereits zuvor war die Anhörung von Kindern jedenfalls ab einer Altersgrenze von drei Jahren als erforderlich erachtet worden.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 20.02.2024 - 18 UF 221/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 07/2024)
Im "echten Wechselmodell", bei dem Kinder getrennt lebender Eltern sich hälftig in beiden Haushalten aufhalten, war es bislang kompliziert, Unterhalt einzuklagen. Der "Wenigerverdiener", dem ein Ausgleich zustünde, musste sich dafür erstmal das Recht durch ein vorgeschaltetes Sorgerechtsverfahren verschaffen, in dem das Gericht alternativ einen neutralen Ergänzungspfleger für den Aufgabenkreis "Unterhalt" einsetzen kann. So war es bislang auf Basis einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH).
2024 hat der BGH diese Rechtsprechung aufgegeben und in einer Fallgestaltung unverheirateter Eltern (für Geschiedene muss das Gleiche gelten) die Tür dafür geöffnet, ohne dieses Vorverfahren auszukommen. Im Fall eines Wechselmodells sind jetzt beide - nicht miteinander verheirateten - Eltern in der Lage, direkt den Unterhalt einzuklagen. Das Kind ist dann der Antragsteller - vertreten durch einen Elternteil -, und beide Eltern können Gegner sein. Es war bisher undenkbar, dass auf diese Weise ein Elternteil quasi auf beiden Seiten des Verfahrens steht.
Der BGH hält das nun für zulässig, weil es sich bei den gegen die Eltern als Teilschuldner (§ 1606 Bürgerliches Gesetzbuch) gerichteten Unterhaltsansprüchen um verschiedene Verfahrensgegenstände handelt. Zur Ermöglichung der abschließenden Klärung des gesamten Unterhalts in einem Verfahren sei das verfahrensökonomisch.
Hinweis: Bevor der BGH seine Entscheidung vom 10.04.2024 veröffentlicht hatte, kam das Oberlandesgericht Nürnberg zum selben Ergebnis (Beschl. v. 23.05.2024 - 10 WF 168/24).
Quelle: BGH, Beschl. v. 10.04.2024 - XII ZB 459/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 07/2024)
Streiten sich Eltern so sehr, dass die Beziehung "hochkonflikthaft" genannt wird, wissen Gerichte oft keinen besseren Rat zum Schutz der Kinder, als den Kontaktabbruch zum Umgangselternteil zu akzeptieren. So war es im Fall des Oberlandesgerichts Köln (OLG). Hier waren die beiden Söhne vom Haushalt der Mutter in den des Vaters gewechselt und verweigerten nun den Kontakt zur Mutter.
Seit der Trennung 2021 hatte es bereits neun Gerichtsverfahren zwischen den Eltern gegeben - mit einer Reihe an Vorwürfen. Die Folgen: Das Jugendamt hatte eine Familienhilfe eingesetzt, ein Umgangspfleger sollte für reibungslose Kontakte sorgen, ein familienpsychologisches Gutachten wurde eingeholt. Der Vater verweigerte die Zusammenarbeit mit der Gutachterin und der Verfahrensbeiständin und schirmte die Kinder von diesen ab. Die Gutachterin musste daher nach Aktenlage bewerten, dass sich die Kinder in einem massiven Loyalitätskonflikt befänden. Auch wenn das Verhalten des Vaters, die Mutter absolut auszugrenzen, langfristig ihre Entwicklung gefährden könne, könnten erzwungene Umgangskontakte dieses Entwicklungsrisiko nicht mindern. Kontakte zur Mutter könnten also derzeit nicht stattfinden. Der Aufgabenkreis "Umgang" könne daher auf einen Ergänzungspfleger übertragen werden, der im Kontakt mit den Kindern den Zeitpunkt für eine Anbahnung ermitteln könne.
Das Amtsgericht entzog dem Vater daraufhin das Sorgerecht für den Aufgabenkreis "Umgang" und setzte das Jugendamt hierfür als Umgangspfleger ein. Sein Verhalten - nämlich die fehlende Kooperation mit sämtlichen Verfahrensbeteiligten - begründe eine Kindeswohlgefährdung, da somit eine weitere Aufklärung in der Sache verhindert werde und Umgänge der Kinder mit der Kindesmutter nicht stattfinden könnten.
Das OLG gab dem Vater das Sorgerecht zurück. Es war davon überzeugt, dass die Jungen die Kontaktverweigerung selbst als einzige Lösungsmöglichkeit sehen, um zur Ruhe zur kommen. Alles spreche dafür, dass sie in ihrem Loyalitätskonflikt befürchten würden, dass ihre Bewältigungsstrategien zusammenbrechen, wenn sie sich der Auseinandersetzung mit der Beziehung zu beiden Eltern stellen müssen. Der von den beiden Jungen geäußerte Wille sei stabil und beruhe auf ihren inneren Bindungen. Deshalb komme es nicht darauf an, ob dieser Wille auch durch das Verhalten des bindungsintoleranten Kindesvaters zustande gekommen ist. Zudem sei der Entzug des Sorgerechts kein geeignetes Mittel, die Meinung der Kinder zu verändern.
Hinweis: Der geäußerte Wille von Kindern wird auch dann beachtet, wenn er ursprünglich durch Manipulation entstanden ist, inzwischen aber vom Kind als eigener Wille empfunden wird. Schwierig ist die Beurteilung, ob die Kinder aus Angst vor Liebesentzug oder Sanktionen etwas anderes sagen, als sie sich eigentlich wünschen.
Quelle: OLG Köln, Beschl. v. 16.05.2024 - 14 UF 22/24
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(aus: Ausgabe 07/2024)
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat im Mai 2024 mit dem "Familienreport" seine Auswertung amtlicher Statistiken, wissenschaftlicher Studien und repräsentativer Bevölkerungsumfragen veröffentlicht.
Daraus einige Erkenntnisse:
Quelle: BMFSFJ, Pressemitteilung Nr. 024 v. 14.05.2024, www.bmfsfj.de
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 07/2024)