Rechtsnews
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Zum Thema Erbrecht
- Erbunwürdigkeit: Anordnung einer Nachlasspflegschaft, auch wenn alle potentiellen Miterben bekannt sind
- Gemeinschaftliche Errichtung entscheidend: Gemeinschaftliches Testament kann auch aus mehreren Urkunden bestehen
- Ortsübliche Kosten: Sozialhilfeträger nicht zu Übernahme von Bestattungskosten für Beerdigung im Ausland verpflichtet
- Pflichtteil trotz Fristüberschreitung: Beachtlicher Irrtum über Erbenstellung ist juristischen Laien bei komplexen Fällen nicht anzulasten
- Verbot im Heimgesetz: Erbeinsetzung eines Wohlfahrtsverbands kann wirksam sein
Die Anordnung einer Nachlasspflegschaft dient der Sicherung des Nachlasses, was insbesondere in den Fällen wichtig ist, in denen die Erben (noch) unbekannt sind. Der Nachlasspfleger übernimmt dann die gesetzliche Vertretung des noch unbekannten Erben und hat die Aufgabe, den Nachlass bis zur Ermittlung zu sichern und zu verwalten. Ob und wann eine solche Nachlasspflegschaft auch vonnöten sein kann, wenn alle potentiellen Miterben bekannt sind, musste im Folgenden das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) beantworten.
Der Erblasser war im Jahr 2021 verstorben. Seine erste Ehefrau beantragte einen Erbschein unter Verweis auf ein privatschriftliches gemeinschaftliches Testament der damaligen Eheleute, wonach sie zur Alleinerbin berufen wurde. Die Kinder des Erblassers aus einer anderen Beziehung hatten jedoch Zweifel an der Echtheit des Testaments, die sich im Erbscheinsverfahren nach Einholung eines graphologischen Gutachtens auch bestätigten. Gegen die vermeintliche Erbin wurden strafrechtliche Ermittlungen sowie ein Erbunwürdigkeitsverfahren eingeleitet, das Nachlassgericht ordnete wiederum eine Nachlasspflegschaft zur Sicherung und Verwaltung des Nachlasses an. Der daraufhin entstandene gerichtliche Streit drehte sich um einen hochwertigen Pkw, den der Nachlasspfleger zur Sicherung des Nachlasses veräußern wollte.
Das Nachlassgericht erteilte ihm hierzu rechtmäßig die Genehmigung, was auch das OLG bestätigte. Das Gericht stellte klar, dass ein Erbe auch dann unbekannt ist, wenn ein Rechtsstreit über eine Erbberechtigung schwebt. Dies gilt auch dann, wenn alle infragekommenden Erben bekannt sind. Maßgeblich ist nämlich, dass das Nachlassgericht zum Zeitpunkt der Einrichtung der Nachlasspflegschaft noch nicht davon überzeugt ist, wer von diesen infrage kommenden Personen der wahre Erbe geworden ist.
Hinweis: Soweit Erbunwürdigkeit im Raum steht, ist es in der Regel ausreichend, wenn die Klage erhoben und die Anfechtung erfolgt ist. Eine Entscheidung hierüber ist für die Einrichtung einer Nachlasspflegschaft nicht zwingend erforderlich.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.01.2023 - 14 W 112/22
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(aus: Ausgabe 03/2023)
Gemeinschaftliche Testamente von Eheleuten haben allein deshalb eine sondere Bedeutung, weil sie bei einer wechselbezüglichen Verfügung durch ihre Bindungswirkung nach Tod des Erstversterbenden nicht mehr abgeändert werden können. Das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) hatte im Folgenden in einem Erbfall die Frage zu klären, ob es sich bei insgesamt drei Urkunden überhaupt noch um ein gemeinschaftliches Testament der betreffenden Eheleute gehandelt haben kann.
Die im Jahr 2021 verstorbene Erblasserin hatte mit ihrem vorverstorbenen Ehemann am 02.08.1984 zunächst jeder für sich ein handschriftliches Testament errichtet, in dem jeder Ehegatte im Fall des Todes den anderen zum alleinigen Erben eingesetzt hatte. Am selben Tag errichteten beide Ehegatten gemeinsam ein weiteres Testament, in dem sie für den Fall des gemeinsamen Todes die drei Kinder zu gleichen Teilen zu ihren Erben einsetzten. Kurz vor ihrem Tod im Jahr 2021 errichtete die Erblasserin schließlich ein weiteres notarielles Testament, in dem sie einer Tochter einen Erbteil von 65 % und den weiteren Kindern Erbteile zu je 17,5 % zuwandte. Die Konsequenz war absehbar: Die Kinder stritten sich über die Wirksamkeit des zuletzt errichteten notariellen Testaments.
Das OLG war im Ergebnis der Ansicht, dass es sich bei den Verfügungen von Todes wegen im Jahr 1984 um ein gemeinschaftliches Testament der Eheleute gehandelt hat, das aufgrund der dort enthaltenen wechselbezüglichen Verfügungen zur Schlusserbeneinsetzung Bindungswirkung nach dem Tod des vorverstorbenen Ehemannes erlangt hat und von der Erblasserin nicht mehr abgeändert werden konnte.
Für die Beurteilung, ob es sich um ein gemeinschaftliches Testament handelt, war hier ausschließlich auf den Willen der Eheleute abzustellen, gemeinschaftlich zu testieren. Es komme eben nicht darauf an, ob dies in einer einzigen Urkunde geschehe. So könne sich auch aus den Umständen des Testaments selbst oder des Errichtungsvorgangs ergeben, ob von einer Gemeinschaftlichkeit des Testierens auszugehen ist. Der Umstand, dass die Ehegatten ihre Testamente am selben Tag und am selben Ort errichtet hatten, ist zunächst nur ein Indiz für die Gemeinschaftlichkeit. Treten weitere Umstände hinzu - beispielsweise die Aufbewahrung der Urkunden in einem gemeinsamen Umschlag oder die Verwendung eines einheitlichen Briefpapiers -, kann auch dies für eine gemeinschaftliche Errichtung sprechen. Entscheidend war für das OLG jedoch, dass die Erblasserin selbst im Zusammenhang mit der Eröffnung des gemeinschaftlichen Testaments nach dem Tod ihres Ehemannes an Eides statt versichert hatte, dass das gemeinschaftliche Testament (auch) Verfügungen für den Erbfall des überlebenden Ehegatten enthalte. Somit war aus Sicht des OLG gut dokumentiert, dass auch die Erblasserin selbst von einer gemeinschaftlichen Errichtung eines Testaments ausgegangen war. Aufgrund der sich hieraus ergebenden Bindungswirkung war es ihr dann aber auch nicht mehr möglich, nach dem Tod ihres Ehemanns eine abweichende Schlusserbeneinsetzung vorzunehmen.
Hinweis: Die Wechselbezüglichkeit von Verfügungen, die bei gemeinschaftlichen Testamenten eine Bindungswirkung auslösen, muss für jede einzelne Verfügung geprüft werden.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 04.01.2023 - 14 W 89/22
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(aus: Ausgabe 03/2023)
Auch mittellos Verstorbenen soll hierzulande eine angemessene Bestattung gewährleistet werden. Was darunter zu verstehen ist - also welche Kosten damit abgedeckt sind oder eben oberhalb dieses Mindestanspruchs liegen -, musste im folgenden Fall das Sächsische Landessozialgericht (LSG) auf Betreiben der Eltern eines Verstorbenen klären.
Die Eltern des im Jahr 2016 verstorbenen Sohns erhielten Leistungen der Grundsicherung im Alter sowie Erwerbsminderungsrenten. Nach dem Tod ihres Sohns beantragten sie die Übernahme von Bestattungskosten beim Träger der Sozialhilfe für eine Beerdigung in Russland. Der Sozialhilfeträger übernahm die Kosten des Bestattungshauses - nicht jedoch die Transportkosten nach Russland und die Kosten der dortigen Beisetzung. Die hiergegen gerichtete Klage der Eltern des Verstorbenen blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg.
Das LSG stellte klar, dass lediglich ein Anspruch auf Erstattung derjenigen Kosten besteht, die unmittelbar der Bestattung dienen bzw. mit der Durchführung der Bestattung untrennbar verbunden sind. Der Erstattungsanspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger soll dabei lediglich eine angemessene Bestattung gewährleisten. Abgestellt wird hierbei auf die Kosten, die ortsüblicherweise anfallen. Kosten für die Überführung ins Ausland sind nur im Einzelfall als notwendig anerkannt. Dies gilt beispielsweise dann, wenn die Umstände eine Bestattung nach dem religiösen Bekenntnis des Verstorbenen im Inland nicht ermöglichen. Dies war aus Sicht des LSG im konkreten Fall nicht gegeben, so dass die Eltern des Verstorbenen diese Kosten selbst tragen mussten.
Hinweis: Grundsätzlich nicht erstattungsfähig sind Kosten, die lediglich anlässlich des Todes entstehen, wie etwa Todesanzeigen, Danksagungen, Leichenschmaus etc.
Quelle: Sächsisches LSG, Urt. v. 30.11.2022 - L 8 SO 107/19
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(aus: Ausgabe 03/2023)
Die sechswöchige Frist zur Ausschlagung einer Erbschaft beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Erbe Kenntnis davon erhält, dass er Erbe geworden ist. Im folgenden Fall des Landgerichts Wuppertal (LG) war die Erblasserin bereits im Januar 2015 verstorben. Die Ausschlagung der Erbschaft erfolgte erst im Januar 2019. Dass auch bei einem derart langen Zeitraum eine Ausschlagung noch möglich sein kann, war auf einen beachtlichen Irrtum der Ausschlagenden über ihre Stellung als Miterbin zurückzuführen.
Die kinderlos gebliebene Erblasserin hatte im Jahr 1967 mit ihrem ersten Ehemann einen notariellen Erbvertrag aufgesetzt, in dem sich beide gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt haben. Zu den Erben des Überlebenden setzten die Eheleute die spätere Adoptivtochter der Erblasserin sowie drei weitere Verwandte zu gleichen Teilen ein. Nach dem Tod des ersten Ehemanns ließ die Erblasserin im Jahr 2005 ein notarielles Testament errichten, in dem sich die Eheleute wechselseitig zu Alleinerben einsetzten. Die Adoptivtochter erhielt ein Vermächtnis. Mit einem weiteren notariellen Testament setzte die Erblasserin ihre Adoptivtochter im Jahr 2009 zur Alleinerbin ein. Nach dem Tod der Erblasserin im Jahr 2015 beantragte die Adoptivtochter einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweisen sollte. In einem sich anschließenden Rechtsstreit entschied das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) letztinstanzlich, dass die Adoptivtochter aufgrund des notariellen Erbvertrags aus dem Jahr 1967 und der darin enthaltenen Bindungswirkung lediglich Miterbin geworden sei. Nach Zustellung der Entscheidung des OLG erklärte die Adoptivtochter innerhalb der Sechswochenfrist die Anfechtung der Erbschaft zum Zweck der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen. Im Kern berief sich die Adoptivtochter darauf, dass sie bis zur endgültigen Entscheidung des OLG davon ausgegangen sei, dass sie Alleinerbin nach der Erblasserin war. Sie habe sich daher über ihre Stellung als Erbin geirrt.
So sah es auch das LG in dem sich anschließenden Rechtsstreit über die Zahlung von Pflichtteilsansprüchen. Die Bindungswirkung aus dem notariellen Erbvertrag sei für eine juristische Laiin nicht ohne weiteres erkennbar gewesen. Die Adoptivtochter konnte nachweisen, dass ihr gegenüber selbst ihr bevollmächtigter Rechtsanwalt die Ansicht vertreten hatte, dass sie aufgrund des Testaments im Jahr 2009 Alleinerbin geworden sei. Es sei daher zulässig, zunächst die rechtliche Klärung durch das Gericht abzuwarten. Die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft konnte damit erst mit der Zustellung der Entscheidung des OLG beginnen, aus der sich für die Klägerin ergab, dass sie lediglich Miterbin nach der verstorbenen Erblasserin geworden war. Die Klage auf Zahlung des korrekt bezifferten Pflichtteils war daher erfolgreich.
Hinweis: Die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft beträgt grundsätzlich sechs Wochen. Sie kann sechs Monate betragen, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz nur im Ausland gehabt hat oder wenn sich der Erbe bei dem Beginn der Ausschlagungsfrist selbst im Ausland aufgehalten hat.
Quelle: LG Wuppertal, Urt. v. 06.01.2023 - 2 O 298/19
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 03/2023)
Die landesrechtlichen Vorgaben für die Betreiber von Heimen sehen vor, dass es dem jeweiligen Träger untersagt ist, sich von oder zugunsten von Bewohnern Geld oder geldwerte Leistungen versprechen zu lassen, die über das vereinbarte Entgelt hinausgehen. Unter das Verbot fällt auch die Erbeinsetzung zugunsten des Trägers bzw. Betreibers eines Heims. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) musste klären, ob ein Wohlfahrtsverband bedacht werden darf, zu dessen Mitgliedern das Heim zählt, in dem die Erblasserin vor ihrem Tod wohnte.
Hier hatte die Erblasserin nach dem Tod ihres Ehemanns ein privatschriftliches Testament errichtet und einen als Verein eingetragenen Wohlfahrtsverband zum Alleinerben eingesetzt. Der einzige Sohn der Verstorbenen war unter anderem der Ansicht, dass die Einsetzung des Wohlfahrtsverbands unwirksam sei, weil die Erblasserin später in einem Heim wohnte, dessen Betreiber-GmbH Mitglied in dem bedachten Wohlfahrtsverband war. Dies sei eine Umgehung des Verbots der Begünstigung des Heimbetreibers.
Dieser Rechtsansicht folgte das OLG jedoch nicht. Adressat des Verbots ist grundsätzlich der Betreiber einer solchen Einrichtung. Der Schutzzweck dieser Vorschrift umfasst auch das Verbot von sogenannten Umgehungsgeschäften - wenn also beispielsweise anstelle des Betreibers eine diesem nahestehende natürliche oder mit diesem verbundene juristische Person begünstigt wurde und es sich damit um eine indirekte oder mittelbare Zuwendung an den Verbotsadressaten handelt. Eben dies sei im konkreten Fall aber nicht feststellbar gewesen, da weder eine wirtschaftliche Begünstigung des Betreibers eingetreten war noch eine rechtliche und tatsächliche Einflussnahme des Wohlfahrtsverbands auf den Heimbetreiber festgestellt werden konnte. Allein die Mitgliedschaft im Wohlfahrtsverband reichte dem OLG hierfür jedenfalls nicht aus. Im Ergebnis war die Erbeinsetzung zugunsten des Wohlfahrtsverbands daher wirksam.
Hinweis: Ursprünglich war das Verbot im Heimgesetz auf Bundesebene geregelt. Mittlerweile ist die Zuständigkeit auf die Bundesländer übergegangen, die in ihren jeweiligen Landesgesetzen entsprechende Regelungen aufgenommen haben.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 08.12.2022 - 20 W 301/18
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(aus: Ausgabe 03/2023)
Zum Thema Familienrecht
- Kein Zwangsgeld: Erscheint ein Kleinkind nicht vor Gericht, lässt eine Gesetzeslücke dies ungeahndet
- Nacheheliche Solidarität: Steuerliche Zusammenveranlagung sollte auch nach Trennung besser nicht verweigert werden
- Nicht nur Wissensvermittlung: Bei Verweigerung der Schulpflicht droht Sorgerechtsentzug
- Versorgungsausgleich: Rentenanspruch im Ausland kann Scheidungsprozess erheblich verlängern
- Zu jung gibt es nicht: Auch ein Kleinkind hat Anrecht auf Beistand im Umgangsverfahren
Wenn Familiengerichte über Sorge- und Umgangsfragen zu entscheiden haben, müssen sie sich vom betroffenen Kind einen persönlichen Eindruck verschaffen. Dass dies auch bei kleinen Kindern unverzichtbar sein kann, beweist der folgende Fall des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG), bei dem die Mutter sich nicht sehr kooperativ zeigte.
Eine Mutter, die dem Vater ihrer Tochter keinen Umgang gewähren wollte, brachte die Dreijährige auch nicht zur richterlichen Anhörung. Zunächst meldete sie sich selbst und dann mehrfach das Kind krank. Schließlich teilte sie mit, das Kind sei nicht zu überreden gewesen, das Gerichtsgebäude zu betreten. Nach einem halben Jahr Schriftverkehr verhängte das Familiengericht ein Ordnungsgeld von 500 EUR.
Das OLG stellte allerdings auf die Beschwerde der Mutter fest, dass ein Ordnungsgeld gesetzlich nicht für den Fall vorgesehen ist, dass ein Kind nicht zu seiner Anhörung erscheint. Ordnungsgelder seien nur zulässig, wenn ein Beteiligter selbst seinen Termin unentschuldigt verpasst. Auch eine zwangsweise Vorführung des Kindes sei gesetzlich nicht vorgesehen. Zwangsgelder hingegen seien nicht dazu gedacht, ein zurückliegendes Fehlverhalten zu bestrafen. Sie haben den Zweck, ein Verhalten zu erzwingen, nachdem bereits eine Zuwiderhandlung erfolgt sei. Das passe aber nicht auf Terminversäumnisse. Hier entdeckte das OLG eine Gesetzeslücke und regte daher an, dass - für den Fall, dass die Anhörung des Kindes an der fehlenden Mitwirkung der Mutter zu scheitern droht - eine einstweilige Anordnung ohne vorherige Anhörung des Kindes ergehe.
Hinweis: Die praktisch umsetzbare Lösung wäre, einen Ergänzungspfleger (z.B. das Jugendamt) einzusetzen, der das Kind aus der Kita holen und zur Anhörung bei Gericht bringen darf.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 11.01.2023 - 5 WF 138/22
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 03/2023)
Trennung und Scheidung sind emotional nicht einfach. Dennoch ist Eheleuten anzuraten, auch nach Liebes- und Beziehungsende in den wichtigsten Dingen an einem Strang zu ziehen, so beispielsweise bei ihrer Steuererklärung. Denn wenn einer von beiden seine Mitarbeit an der (gemeinsamen) Steuererklärung verweigert, kann dies teuer werden, so wie im folgenden Fall des Oberlandesgerichts Bamberg (OLG).
Die Eheleute hatten sich 2019 getrennt. Die Steuererklärungen 2013 bis 2019 waren noch nicht eingereicht. Der Mann verweigerte die Zusammenarbeit bei der Erstellung. Es gab WhatsApp-Austausch mit dem Inhalt, dass der Mann an einer gemeinsamen steuerlichen Veranlagung nicht interessiert sei. Die Frau schrieb noch "Dann müsstest du mehr nachzahlen", aber der Mann blieb bei seiner wirtschaftlich unvernünftigen Haltung. Daraufhin reichte die Frau ihre Unterlagen allein über einen Lohnsteuerhilfeverein beim Finanzamt ein. Ihr standen 10.000 EUR Erstattung zu, ihre Steuerbescheide wurden bestandskräftig, sie gab das Geld aus.
Gegenüber dem Mann erließ das Finanzamt auch Steuerbescheide und forderte von ihm 23.000 EUR Nachzahlung. Daraufhin wurde dem Mann klar, dass die Zusammenveranlagung besser gewesen wäre - prompt forderte er die Frau zur Zustimmung auf. Weil seine Bescheide noch nicht bestandskräftig waren, hätte das noch vom Finanzamt berücksichtigt werden müssen.
Das OLG verkannte zwar nicht, dass er diesen Anspruch gehabt hätte - durch seine WhatsApp-Kommunikation habe er aber auf die sich aus der nachehelichen Solidarität ergebenden Pflichten der Antragsgegnerin wirksam verzichtet. Eine Sturheit, die ihn somit teuer zu stehen kam.
Hinweis: Im Rahmen der Einzelveranlagung können eheliche Steuervorteile noch in Anspruch genommen werden, wenn Unterhalt gezahlt wurde. Über die sogenannte Anlage U kann das "begrenzte Realsplitting" Steuern sparen. Die Wechselwirkung zur Unterhaltshöhe muss von einem Anwalt berechnet werden.
Quelle: OLG Bamberg, Beschl. v. 10.01.2023 - 2 UF 212/22
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(aus: Ausgabe 03/2023)
Der Entzug des Sorgerechts sollte in Familiensachen immer das letzte Mittel sein. Im Folgenden gab das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) den Eltern des betreffenden Kindes das Sorgerecht, das ihnen vom Familiengericht (FamG) bezüglich Aufenthaltsbestimmungsrecht, Entscheidungen in schulischen Angelegenheiten sowie Beantragung öffentlicher Hilfen entzogen war, zwar zurück, doch nicht ohne den ernsten Hinweis, das dies durchaus nicht auf Dauer gelten muss.
Ein 13-Jähriger wuchs in einem ideologischen Gemenge von Reichsbürgerideen und Kritik gegen Corona-Maßnahmen auf, was 2020/2021 dazu führte, dass die Eltern ihn wegen der Maskenpflicht nicht mehr in die Realschule gehen ließen. Die Schule machte dabei zunächst einiges mit: Er durfte ohne Maske an einem Einzeltisch sitzend die Klassenarbeiten schreiben und bekam im Übrigen Lernunterlagen nach Hause geschickt. Das Sommerzeugnis 2021 ergab einen Notendurchschnitt von 1,7. Nach den Sommerferien 2021 drängte die Schule jedoch wieder auf Einhaltung der Anwesenheitspflicht. Das Ordnungsamt flankierte die Bemühungen der Schule mit mehr als 14 Ordnungsgeldbescheiden. Weil auch das nichts änderte, wandte die Schule sich an das FamG. Zum Verhandlungstermin erschien die Familie nicht. Daraufhin entzog das FamG den Eltern vorläufig die elterliche Sorge für die Teilbereiche Aufenthaltsbestimmungsrecht, Entscheidungen in schulischen Angelegenheiten sowie Beantragung öffentlicher Hilfen und ordnete Ergänzungspflegschaft an. Außerdem ermächtigte es den Ergänzungspfleger, die Herausgabe des Kindes notfalls unter Einsatz von Gewalt und mittels Betreten und Durchsuchen der elterlichen Wohnung sowie unter Inanspruchnahme der Hilfe des Gerichtsvollziehers oder der Polizei durchzusetzen.
Die Sache ging zum OLG. Dort nahmen die Eltern am Verhandlungstermin teil und teilten mit, der Sohn sei in einem Projekt angemeldet, das ihn auf den Besuch einer Regelschule ab Februar 2023 vorbereiten werde. Neben der Maskenpflicht habe es weitere Gründe gegeben, weshalb der Sohn sich in der Regelschule nicht wohlgefühlt habe. Deswegen hob das OLG den Beschluss auf und gab den Eltern das Sorgerecht zurück - nicht ohne aber festzustellen, dass der Beschluss ursprünglich rechtmäßig gewesen sei, und nicht ohne den Besuch dieses Schulprojekts zur Auflage zu machen. Der unterbliebene Schulbesuch sei eine Kindeswohlgefährdung. Das verfassungsrechtlich geschützte Erziehungsrecht der Eltern sei durch die allgemeine Schulpflicht beschränkt. Dieser Auftrag richte sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen. Er richte sich auch auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die gleichberechtigt und verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben. Soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung könnten effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind. Ein ausreichendes Bewusstsein der Eltern für die Bedeutung der Schulpflicht für die autonome Entwicklung des Jugendlichen bestehe nicht und es gebe weiterhin nicht unerhebliche Zweifel an der Kooperationsbereitschaft der Eltern. Daher müsse der weitere Weg des Jungen über die Auflage im Blick gehalten werden. Wenn Anbahnung und Sicherstellung des Schulbesuchs scheiterten, müsse das FamG erneut das Sorgerecht entziehen.
Hinweis: Die Allgemeinheit habe ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten Parallelgesellschaften entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren. Das Vorhandensein eines breiten Spektrums von Überzeugungen in einer Klassengemeinschaft könne die Fähigkeit aller Schüler zu Toleranz und Dialog als einer Grundvoraussetzung demokratischer Willensbildungsprozesse nachhaltig fördern.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.01.2023 - 5 UF 188/22
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(aus: Ausgabe 03/2023)
Bei Scheidung werden Renten und Pensionen, die während der Ehe entstanden sind, hälftig geteilt. Dabei kann das deutsche Familiengericht aber nur deutsche Anwartschaften berücksichtigen. Im Fall des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG) musste geklärt werden, wie es sich damit verhält, wenn ein Ehegatte einen Teil seiner Rente im Ausland angespart hat.
Die Ehefrau hatte in der Ehezeit ein Kapital von gut 60.000 EUR bei der Deutschen Rentenversicherung angespart. Die Versorgungen des Mannes - vermutlich ein Grenzgänger in Süddeutschland - waren 2008 bis 2020 in der Schweiz erworben worden. Das Familiengericht meinte nun, man könne die deutsche Rente der Frau schon mal teilen - 30.000 EUR für den Mann, um den unbekannten Rest müsse die Frau sich in einem Schweizer Gerichtsverfahren oder mithilfe eines weiteren deutschen Verfahrens im Rentenalter kümmern. Wie viel das wert sei, erforschte das Gericht dabei nicht.
Diese Entscheidung hob das OLG auf die Beschwerde der Frau auf und stellte fest, dass das Familiengericht sich Gedanken über den Wert der ausländischen Versorgung hätte machen müssen. Es hätte zumindest versuchen müssen, überschlägig zu ermitteln, ob der Wert der ausländischen Anrechte dem Wert der inländischen Gegenanrechte der Frau entspricht. Das OLG nahm dann diese Überschlagsrechnung selbst vor und ermittelte, dass die Schweizer Rente ungefähr 600 EUR monatlich wert sein dürfte. Die Frau hatte ihrerseits nur 300 EUR Rente in Deutschland erarbeitet. Bei dieser Sachlage sei es unfair, der Frau schon die Teilung ihrer kleineren Rente abzuverlangen und sie bezüglich der Teilung der Schweizer Rente ins Ungewisse zu schicken. Es sei der Versorgungsausgleich insgesamt nicht bzw. erst dann durchzuführen, wenn der erste Ehegatte ins Rentenalter komme und dann konkret errechnet werden könne, wie man den Halbteilungsgrundsatz umsetzen kann.
Hinweis: Die Ermittlung des Werts ausländischer Anrechte ist häufig ein Problem, weil die ausländischen Behörden am Scheidungsverfahren erst gar nicht mitwirken oder weil sie nicht in der Lage sind, Auskünfte zu erteilen, die innerhalb der Systematik des Versorgungsausgleichs mit den deutschen Anwartschaften vergleichbar sind. Das gilt vor allem für Länder, die keinen Versorgungsausgleich kennen. Scheidungen mit Auslandsberührung bei der Rente dauern deshalb oft sehr viel länger. Oft schließt sich ein Verfahren im Ausland und/oder im Alter an.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.01.2023 - 5 UF 58/22
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(aus: Ausgabe 03/2023)
In Verfahren vor dem Familiengericht zum Kindeswohl kommt einem "Verfahrensbeistand" große Bedeutung zu. Dieser "Anwalt des Kindes" soll die Interessen des Kindes formal in das Verfahren einbringen. Denn das Gesetz geht davon aus, dass das Interesse des Kindes nicht mit dem beider Eltern im Einklang sein kann - sonst würden diese sich nicht vor Gericht darüber streiten. Im Folgenden hatte das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) zu klären, ob die Entscheidung zulässig ist, einem dreijährigen Kleinkind keinen Verfahrensbeistand zu bestellen, weil das Kind ohnehin zu klein ist, um seinen Willen zu ermitteln.
Was zuvor das Familiengericht entschied, fand beim OLG keinen Anklang. Der Hinweis auf das junge Alter des Kindes rechtfertige das Absehen von der Bestellung eines Verfahrensbeistands unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt. Der Verfahrensbeistand habe die Aufgabe, das dem Kindeswohl entsprechende Interesse des dreijährigen Kindes zu ermitteln und im Verfahren zur Geltung zu bringen. Die Wahrnehmung der Kindesinteressen sei von der - bei dem Kleinkind möglicherweise eingeschränkten - Erkennbarkeit einer Willensäußerung völlig unabhängig. Gerade bei Kindern unter drei Jahren, die ihren Willen noch nicht oder nur ganz begrenzt äußern können, sei der Verfahrensbeistand grundsätzlich erforderlich, da er nicht nur Sprachrohr des Kindes, sondern Vertreter der objektiven und subjektiven Kindesinteressen ist. Kinder, die wegen ihres jungen Alters möglicherweise nicht persönlich angehört werden, bedürfen im Verfahren regelmäßig eines eigenen Interessenvertreters, damit ihre individuellen Interessen im Verfahren nicht in den Hintergrund treten.
Hinweis: Auch wenn der Amtsermittlungsgrundsatz bedeutet, dass der Richter selbst den Sachverhalt und das Kindeswohl ermitteln muss, wird dies in der Praxis häufig auf die Verfahrensbeistände delegiert. Diese sprechen auch mit Dritten (z.B. der Kita) und erstellen häufig einen ausführlichen schriftlichen Bericht, der dem Richter als Entscheidungsgrundlage dient. Konstruktive Zusammenarbeit mit dem Verfahrensbeistand ist daher für die Eltern günstig, wenn sie ihr Anliegen positiv beurteilt haben möchten.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. vom 21.12.2022 - 13 UF 116/22
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 03/2023)